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Mit Licht geschossen | 50. Bildpräsentation

Historische Originalaufnahmen, eingefangen in Chemnitz, an der West- und Ostfront, großformatig plakatiert.
Eine Fotografie – einen Monat lang – an unterschiedlichen öffentlichen Plätzen von Chemnitz, über die gesamte historische Spiegelungsdauer 2014-2018.

 

„Platzkonzert“

Im Zuge der alliierten „Hunderttageoffensive“ wurde das deutsche Heer sukzessive immer weiter zurückgedrängt, Ende September durchbrachen die Amerikaner erstmalig die symbolträchtige „Siegfriedstellung“. Trotz durchaus noch intakter Kampfverbände war die Moral der kaiserlichen Truppe völlig „im Keller“. Krankheiten, das Fehlen nennenswerter Reserven, Desertion und Dienstverweigerungen waren Ausdruck allgegenwärtiger Kriegsmüdigkeit, die durch die nun permanenten Rückwärtsbewegungen nur noch weiter verstärkt wurden. Die Mittel, die der deutschen Heeresleitung zur Verfügung standen, um die Soldaten zu motivieren, waren äußerst limitiert.

In einen solchen „Motivationsversuch“ führt die aktuelle Fotografie: Vor den Gebäuden einer zur „Ortskommandantur“ umgewidmeten Fabrik in Frankreich oder Flandern spielt eine Regimentskapelle „zur moralischen Hebung“ für Soldaten im Ruhe- und Freizeitmodus auf. Militärmusik von ausgesprochen hoher Qualität spielte in den Staaten des deutschen Kaiserreiches eine derart große Rolle, dass der Name des bedeutendsten Komponisten preußischer Militärstücke, Gottfried Piefke, in anderen Ländern bis heute als Synonym verwendet wird: Spricht man in Österreich von den „Piefkes“, weiß jeder, dass damit „der Preuße“ oder gleich „der Deutsche“ gemeint ist. Eigens für einzelne Regimenter verfasste Kompositionen waren ein wichtiges Identifikationsmoment: in Friedenszeiten gehörten öffentliche Militärkonzerte zum kulturellen Standard für die Bevölkerung des Garnisonsortes, in Kriegszeiten waren sie den Soldaten Ausdruck von Korpsgeist und Kameradschaftsgefühl. Zum Repertoire der Kapellen gehörten nicht nur Militärmärsche, sondern auch ausgesprochen „zivile“ Stücke – Volkslieder, Vorläufer des „Schlagers“ oder Tänze wie Polka und Walzer – so dass den Militärmusikern auch eine ausgesprochene Unterhaltungsfunktion zur Stärkung der Moral der Truppe zukam. Die im Bild dargestellte Regimentskapelle musizierte auf einer sehr hochwertigen Instrumentenbasis. Neben traditionellen Instrumenten wie Trommel, Pauke und Signalhorn finden sich vor allem moderne ventilierte Blasinstrumente, etwa Basstuba, Trompete, Waldhorn und Klarinette. Dirigiert wird die Kapelle von einem Musikdirigent im Range eines etatmäßigen Feldwebels.

Wie jedoch unschwer in der Fotografie zu erkennen, vermag auch anspruchsvolle Militärmusik die Soldaten nicht mehr zu motivieren. Der überwiegende Teil der Zuhörer folgt dem musikalischen Geschehen gelangweilt, rauchend, die Hände in den Hosentaschen: Das Einzige, dass in dieser Situation noch zu motivieren vermag, ist die Hoffnung auf baldigen Waffenstillstand.
 

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DAStietz, Foyer

Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz