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Mit Licht geschossen | 25. Bildpräsentation

Historische Originalaufnahmen, eingefangen in Chemnitz, an der West- und Ostfront, großformatig plakatiert.

Eine Fotografie – einen Monat lang – an unterschiedlichen öffentlichen Plätzen von Chemnitz, über die gesamte historische Spiegelungsdauer 2014-2018.

„Fliegende Augen“

Die Begriffe „Schützengraben“ und „Trommelfeuer“ bestimmen bis heute die Vorstellung vom Fronterleben der Soldaten im I. Weltkrieg. Beide werden im vorliegenden Bild – einem für die Zeit brandaktuellen neuen Medium – sichtbar. Der „wissenschaftlich-technische Fortschritt“ ermöglichte nicht nur neue Quantitäten des industriellen Tötens an den Fronten, wie sie sich beispielsweise im millionenfachen Einsatz brisanter Artilleriegeschosse gegen „hard“ und „soft targets“, gegen Stellungen, Technik und Menschen manifestierten, sondern machte dies auch unter Verwendung völlig neuer state-of-the-art-Technik in bis dahin unbekannter Präzision möglich.
Das Neue, das Moderne der historischen Aufnahme aus den Jahren 1915/16 besteht darin, dass es sich um eine sehr präzise Luftaufnahme, eine Senkrechtfotografie von Teilen des Schlachtfeldes an der Westfront handelt. So etwas war nur unter Einsatz damals modernster Technik zu realisieren: einmal durch hochentwickelte Fotokameras, zum anderen durch das Flugzeug. Das Luftbild, das noch die originalen Tuscheeinträge „Englische Stellung“ (links) und „Deutsche Stellung“ der Luftbild-Auswerter aufweist, entstand im Operationsgebiet des in Chemnitz aufgestellten Reserve-Infanterie-Regimentes 244 zwischen Verlorenhoek und Ypern in Flandern. Deutlich sind die Charakteristika der ausgebauten Grabensysteme der beiden kriegführenden Parteien zu erkennen: oben die schmalen britischen „trenches“, unten die tief gestaffelten, sich weit hinter die Kampflinien erstreckenden deutschen Gräben.
Derartige Fotografien lieferten den Aufklärungseinheiten an der Front wichtige und vor allem zuverlässige Informationen. Bis Flugzeug und Kamera zum Einsatz über dem Schlachtfeld kamen, war die Aufklärung gegnerischer Frontabschnitte eine ausgesprochen ungenaue Angelegenheit: speziell ausgebildete Artillerieaufklärer, die im Niemandsland agierten, beobachteten gegnerische Stellungen und korrigierten, nicht selten unter extremster Gefahr für die persönliche Sicherheit, das Feuer der eigenen Artillerie. Fiel der Artillerie-Aufklärer, schossen die Geschütze blind. Eine weitere, bereits seit dem 19. Jahrhundert praktizierte Möglichkeit war die Feuerlenkung vom Ballon aus – ein Verfahren, das nicht nur unpräzise, sondern gleichfalls im modernen Krieg obsolet geworden war. So aber hatten mit dem neuen Medium Luftbild nicht nur Artillerie- oder Flieger-Offiziere exakte Geländedarstellungen vorliegen, die ihre Einsatzplanungen ermöglichten, auch neu entstandene Spezialeinheiten der Infanterie oder der Pioniere, wie etwa Stoßtrupps und Sturmpioniere nutzten die aus diesen Fotografien gewonnenen Erkenntnisse: Die großen, an den äußeren Rändern des deutschen Grabensystems sichtbaren Sprengtrichter legen den Einsatz von unterirdisch vorgetriebenen Minensprengungen an besonders vulnerablen Grabenabschnitten, die aus der Luft aufgeklärt werden konnten, nahe. Hier sollte ein gefahrreduziertes Eindringen der eigenen Infanterie ermöglicht werden.